Altlust – 1000 Jahre Nachnutzung am Brandenburger Dom

Altlust

1000 Jahre Nachnutzung am Brandenburger Dom

Was passiert, wenn ein Kapitell zur Säulenbasis – oder ein Grabstein zur Türschwelle wird?

Bei der Nachnutzung geht es bei weitem nicht nur um die Bereitstellung von Baumaterial. Welche gesellschaftlichen Prozesse, welch ideeller Wandel vollzieht sich, wenn man die Prachtrobe der Ehefrau zum Priestergewand umschneidern lässt oder der geistliche Chormantel nunmehr als profane Tischdecke dienen darf?

Die Ausstellung „Altlust –1000 Jahre Nachnutzung am Brandenburger Dom“ präsentiert das facettenreiche Phänomen der Wiederverwendung im und um den Dom St. Peter und Paul zu Brandenburg an der Havel.

Kostspieliger Sandstein

Im Havelland fehlt der Sandstein, der als Baumaterial, vor allem für bauplastische Elemente wie Kapitelle oder Gesimse hätte dienen können. Naturwissenschaftliche Untersuchungen haben bewiesen, dass solche Stücke von weither und zu hohen Preisen über Saale, Elbe und Havel eingeführt werden mussten. Die Wiederverwendung von Sandstein bedeutete daher vor allem eine Kostenersparnis.

Historische ‚Dokumentenvorlagen‘

Mit der Erfindung des Buchdrucks wurden ganze Druckstöcke als wertvolles Gut gehandelt und wiederverwendet. Das belegen die Druckerzeugnisse verschiedenster Druckereien. Erstaunlich ist die Wiederverwendung bei Unikaten, wie Urkunden.

Sie wurden zu Fälschungen, indem man sie wie Dokumentenvorlagen wiederverwendete und lediglich mit neuem Inhalt versah.

Alte Kunst nach der Reformation

Im Zuge der Reformation entbrannte ein teils heftiger Streit über den Umgang mit der „alten“ Kunst, wie den Altarbildern, den Gewändern oder liturgischen Geräten. Man schneiderte sie kurzerhand um und fertigte Mäntel aus Vorhängen oder vice versa Vorhänge aus Mänteln. Häufig wurden sie den neuen Gestaltungsformen und Inhalten entsprechend „interpretiert“. Es sind aber auch „typisch“ katholische bzw. vorreformatorische Bildtypen in das protestantische Bildprogramm übergegangen.

Die Wiederentdeckung des Mittelalters 

Im Jahre 1853 brach der Aachener Kanoniker Franz Bock zu einer bemerkenswerten Studienreise in die lutherischen Gebiete Deutschlands auf. Er war auf der Suche nach mittelalterlichen Stoffmustern, die als Vorbild für die heimische Textilproduktion

dienen konnten. Er vermutete sie dort, wo sie weder durch Gebrauch verschlissen noch zerstört worden sind. So wurden Gewänder aus dem Brandenburger Bestand zu Vorbildern neuzeitlicher Priestergewänder oder in neuzeitliche Paramente integriert.

Franz Bocks Studienreise fällt in die Regierungsjahre der preußischen Könige Friedrich Wilhelm III. und IV. Man lernte das Mittelalter wieder zu schätzen und begriff es als Teil der nationalen Identität. Gerade die national-romantischen Geschichtsschreiber überhöhten die frühen Hohenzollern in der Mark Brandenburg als Wegbereiter Brandenburg-Preußens und später auch des Deutschen Reiches. Die Wiederverwendung der Kirche als Plenarsaal für die Nationalversammlung geht aus diesem Gedanken hervor.

Altes Wissen – Neue Bildung

Das Thema der Wiederaufbereitung von Wissen wird in der Alten Bibliothek in der Nordklausur sichtbar. Die Malereien

in diesem Raum zeigen die artes liberales und die artes mechanicae als Bildungsideal des späten Mittelalters. Dabei geht es um die Vermittlung antiken Wissens und dessen Aufbereitung im Mittelalter und in der Neuzeit. Die frühen Chroniken und enzyklopädischen Werke speicherten das Wissen der Zeit.

Veränderungen sichtbar machen

Gerade am oberen Kreuzgang wird die Veränderung des Blickes auf die kulturelle ‚Altlast‘ deutlich: Die manchmal gut erhaltenen, an anderer Stelle aber bis zur Unkenntlichkeit zerstörten gotischen Wandmalereien, wurden vor wenigen Jahren aufwendig freigelegt und konserviert. Heutzutage verzichtet man bewusst auf die Rekonstruktion des ‚Alten‘, um den geschichtlichen Prozess sichtbar werden zu lassen. Noch vor 80 Jahren ging man hier anders vor: Die Wappen der märkischen Adelsgeschlechter zierten die Gewölbe. Sie sollten gemeinsam mit den Ölporträts der preußischen Könige an die längst vergangene große Zeit Brandenburgs erinnern. Die Gemälde werden heute in den Depots verwahrt.

Vom Kulturschutt zum Kulturgut

Füllschichten unter den alten Fußböden oder auch über den alten Gewölben boten Raum für die Müllentsorgung. Alte Pantoffeln oder Werkzeuge, Scherben von Glasfläschchen oder Tabakspfeifen, selbst Zeichenstudien und Aufgabenheftchen fanden hier ihre letzte Ruhe. Sie wurden im Zuge der Sanierung geborgen und werden als Zeugnisse des Alltagslebens vergangener Jahrhunderte in Depots sicher verwahrt und in dieser Ausstellung präsentiert.

Die Nachnutzung von Architektur

Für die moderne Nutzung und Wiederverwendung alter Gebäude ist das historische Gebäudeensemble am Dom selbst  ein lebendiges Beispiel: Die Turnhalle wird zum Speisesaal, das Krankenhaus zum Kinderhort.


AUSSTELLUNGSERÖFFNUNG
Donnerstag 4. Mai 2017 | 18.30 Uhr | Dom zu Brandenburg

Ausstellung
5. Mai bis 31. Oktober 2017