Corona und der Domstiftswald
Eigentlich hat sich das Leben hier draußen im Seelensdorfer Wald durch diesen kleinen unsichtbaren Virus mit der großen Wirkung wenig verändert, wenn man nicht auch hier den Errungenschaften der Zivisilation ausgeliefert wäre und durch die zwingend notwendigen sozialen Kontakte die neuen Regeln für Abstand, Begrüßung, Maske, Desinfektion und Händewaschen zur Normalität geworden sind. Übrigens eine Normalität, die in etwa mit der allabendlichen Zeckensuche des Försters nach der Arbeit im Wald wegen der Borreliosegefahr vergleichbar ist und an die vor 30 Jahren kaum jemand dachte.
Unser Wald macht aber bereits seit einigen Jahren eine andere Krise durch, die neben der Corona-Krise insgesamt wenig Beachtung findet, solange es im Frühjahr immer noch so schön grün wird.
Das Klima verändert sich, der Wald bekommt nicht mehr genügend Niederschläge in und außerhalb der Vegetationsperiode und stirbt wegen Wassermangels und der daraus resultierenden Folgeschäden. Das sind in unserem Bereich vor allem Schäden durch Pilze und Käfer. Der Grundwasserspiegel ist zum Teil mehr als 3,00 m gesunken, unerreichbar für eine Baumwurzel besonders auf den früher wasserverwöhnten forstlichen Standorten der Havelniederung. Der Holzeinschlag konzentriert sich deshalb auf das sogenannte Kalamitätsholz (abgestorbene und sterbende Bäume) und dessen schnelle Entfernung aus dem Wald. Da dieses Ausmaß in Deutschland inzwischen alles andere als eine Banalität darstellt, sind durch das Überangebot auf dem Holzmarkt die Holzpreise auf ein Rekordtief gesunken und Industrieholzsortimente gar nicht mehr absetzbar. Eine Besserung dieser misslichen Lage ist nicht in Sicht und kann nur durch eine mehr als ausreichende Wasserversorgung des Waldes wieder ins Lot kommen. Zudem können unsere Bäume nicht auf Abstand gehen und die Käfer haben Flügel. Die seit April anhaltende Frühjahrstrockenheit bedroht schon wieder das Gelingen der neugepflanzten Forstkulturen und hat zu einer hohen Waldbrandgefahr geführt.
Die Produktion von Kanthölzern in unserem Sägewerk und deren Absatz konnte dagegen ohne Einschränkungen weitergeführt werden. Holzhackschnitzel aus dem Seelensdorfer Sägewerk hatten Hochkonjunktur durch eine so noch nie dagewesene Nachfrage der privaten Kleingärtner. Um die eigene Versorgung unseres Heizwerkes mit Hackschnitzeln abzusichern, musste der Verkauf vorübergehend eingestellt werden.
Auch unser Waldfriedhof hat in diesem ersten Halbjahr eine spürbar gestiegene Nachfrage interessierter Menschen zu verzeichnen, die sich in der Zeit der gesellschaftlichen Entschleunigung Gedanken über ihre letzte Ruhestätte machen.
Dank der zur Regel gewordenen Videokonferenzen am Dom spart der Domstiftsforstmeister wöchentlich eine Arbeitsstunde für die sonst notwendigen An- und Abfahrten von Seelensdorf zum Burghof nach Brandenburg. Übers Jahr wird daraus mehr als eine Arbeitswoche gesparte und dafür zusätzliche Zeit für unseren kranken Wald.
Nur gut, dass Johann von Tuchem den Kauf der Gemarkung Seelensdorf im Jahre 1319 getätigt hatte. Mit etwas Abstand schauen wir Seelensdorfer dankbar auf die vielen schönen Ereignisse anlässlich unseres 700 jährigen Jubiläums zurück, die in diesem Jahr trotz Abstand nicht möglich gewesen wären.
Friedrich Hinz Domstiftsforstmeister
